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In der Regressfalle

Stellen Sie sich vor, Sie sind niedergelassener Arzt und behandeln einen Patienten, der zur Therapie seiner Krankheit(en) Medikamente für 500 bis 600 Euro pro Quartal benötigt. Gleichzeitig wissen Sie, dass die offizielle Richtgröße lediglich 116 Euro pro Patient und Quartal vorsieht. Kein Problem für einen Mediziner, der über genügend andere Patienten verfügt, deren Behandlungskosten so weit unterhalb der Richtgröße liegen, dass die in der Endabrechnung durchschnittlichen Aufwendungen pro Patient trotz des "teuren Ausreißers" innerhalb der vorgeschriebenen Norm liegen. Riesige Probleme kommen dagegen auf Ärzte zu, die in ihrer Praxis überwiegend Patienten versorgen, deren Therapiekosten den gesteckten Rahmen nicht selten um ein Vielfaches des Erlaubten sprengen.

Diese bittere Erfahrung musste ein 50jähriger Hausarzt in Niedersachsen machen. Innerhalb von vier Jahren haben sich die Mehrkosten der von ihm getätigten Verordnungen auf 160000 Euro summiert. Exakt diese Summe soll der Mediziner an die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Niedersachsen zurückzahlen, die für die Durchsetzung der Regressforderungen der Gesetzlichen Krankenkassen (GKV) zuständig ist. Eine Summe, die für sich genommen schon existenzgefährdend ist und die sich angesichts der besonderen Patientenstruktur noch weiter erhöht hätte. Das Problem: von den gut 1000 Patienten, die der Landarzt in seiner Praxis versorgte, waren fast 90 Prozent Senioren und multimorbide Patienten, deren Behandlung entsprechend kostenintensiv ist.

Der Regress-Ausschuss aus KV- und GKV-Vertretern will diese Besonderheit als Erklärung für die hohen Medikamentenkosten allerdings nicht akzeptieren. Stattdessen verweist er - vorbei am gesunden Menschenverstand - auf fehlende Studien über den Zusammenhang von höherer Altersstruktur und steigenden Therapiekosten.

Bedroht vom persönlichen Ruin zog der Landarzt so Anfang Juli die Reißleine und gab seine Praxis auf. Ob er die 160000 Euro tatsächlich zurückerstatten muss, wird derzeit vom Beschwerdeausschuss überprüft - Ergebnis offen. Was dagegen jetzt schon feststeht ist, dass sich die (in ländlichen Gebieten zumeist ohnehin knappe) Versorgungsdichte einmal mehr verschlechtert hat.